Ohne Krankenversicherung in Deutschland: Wer ist betroffen und warum?
- Carolin Ochs
- 24. Sept. 2024
- 4 Min. Lesezeit
In Deutschland gilt die Krankenversicherungspflicht, doch trotzdem gibt es viele Menschen, die keinen Versicherungsschutz haben. Diese Situation betrifft verschiedene gesellschaftliche Gruppen, von denen jede vor spezifischen Herausforderungen steht. Wer ist betroffen und waum? In diesem Blogbeitrag beleuchten wir, warum bestimmte Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung leben, welche Gruppen besonders betroffen sind, und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um diese Problematik zu lösen. Wenn Du eine Fortbildung oder einen Vortrag zu diesem Thema buchen möchtest, kontaktiere uns unter kv.fragen@gmail.com

Wer ist betroffen?
Selbstständige und Studierende
Zu Beginn ihrer selbständigen Tätigkeit oder eines Studiums können Selbständige und auch Studierende sich entweder für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder für eine private Krankenversicherung (PKV) entscheiden. Einige entscheiden sich für die PKV, weil sie anfangs günstiger erscheint. Allerdings steigen die Beiträge der PKV mit dem Alter. Zudem wird am Anfang des Vertrags eine Gesundheitsprüfung durchgeführt. Diese kann dazu führen, dass Vorerkrankungen ausgeschlossen oder teuer eingepreist werden.
Das Hauptproblem für Selbstständige ist jedoch die finanzielle Unsicherheit. Unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat versichert sind, müssen sie ihre Krankenversicherungsbeiträge selbst tragen. Wenn das Einkommen niedrig ist oder unregelmäßig kommt, fällt es vielen schwer, die Beiträge zu zahlen. Auch Studierende haben häufig kein regelmäßiges Einkommen und wenn, dann nur ein geringes. In solchen Situationen müssen Prioritäten gesetzt werden– Miete und Lebensmittel stehen oft an erster Stelle, und die Krankenversicherung wird hintenangestellt.
Dies führt dazu, dass Beiträge nicht mehr gezahlt werden und es zu Schulden kommt. In der Privaten und auch in der Gesetzlichen Versicherung rutscht man nach zwei Monaten ohne Beitragszahlung in eine andere Form der Absicherung. Mehr dazu findest du in meinem Blogbeitrag zu Schulden und ruhenden Leistungen in der GKV.
Besonders Selbständige und Studierende mit einem befristeten Visum können sich nicht in einer Gesetzlichen Krankenversicherung anmelden. Sie sind auf sog. private Incomingversicherungen angewiesen. Diese Versicherungen schließen Vorerkrankungen aus oder beschränken sich auf die Notfallversorgung.
Vereinzelt kommt es auch vor, dass Selbständige schon vor der Einführung der Versicherungspflicht nicht krankenversichert waren und es bis heute sind.
EU-Bürger ohne Freizügigkeitsrecht
EU-Bürger, die in Deutschland leben, sind zunächst freizügigkeitsberechtigt. Das bedeutet, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen einen rechtmäßigen Aufenthalt haben. Sie müssen über eine Krankenversicherung und ausreichende finanzielle Mittel verfügen, Familienangehörige begleiten, die diese Voraussetzungen erfüllen oder in Deutschland arbeiten.
Wenn sie diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, verlieren sie ihr Freizügigkeitsrecht und können sich nicht (mehr) in der gesetzlichen Krankenversicherung anmelden.
Zwar könnten sie theoretisch in die private Krankenversicherung wechseln, aber die Beiträge sind besonders im Basistarif oft sehr hoch. Daher fallen viele EU-Bürger durch das Raster und bleiben ohne Versicherungsschutz, auch wenn sie weiterhin in Deutschland leben.
Obdachlose Menschen
Nicht alle, aber viele obdachlose Menschen sind nicht (mehr) krankenversichert. Dies liegt oft daran, dass sie für ihre Krankenkassen nicht mehr erreichbar sind. Gesetzliche Krankenversicherungen dürfen ihre Mitglieder abmelden, wenn sie keine Beiträge zahlen und mehr als sechs Monate nicht erreichbar sind. Dabei muss die Krankenversicherung alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Mitglieder zu erreichen. Wenn Behandlungen von Ärzten abgerechnet werden, gilt das als Kontakt zur Versicherung.
Durch diese Regelung verlieren obdachlose Menschen oft unbemerkt ihren Versicherungsschutz. Da sie ohnehin in prekären Lebensverhältnissen leben, fällt es ihnen besonders schwer, wieder Zugang zum Gesundheitssystem zu bekommen.
Haftentlassene
Nach der Entlassung aus der Haft stehen viele Menschen ohne Krankenversicherung da. Während der Haft werden sie über die freie Heilfürsorge der Justiz versorgt, die nicht über eine Krankenkasse läuft. Um während der Haft keine Beiträge zu zahlen, kündigen viele ihre Krankenversicherung oder setzen sie aus. Einige Versicherungsformen enden auch automatisch, wenn eine andere Absicherungsform beginnt. Das Problem: Nach der Entlassung müssen sie sich erneut versichern, was oft nicht einfach ist. Ohne festen Wohnsitz, Arbeit oder ausreichendes Einkommen bleibt vielen der Zugang zur Krankenversicherung verwehrt, was dazu führt, dass sie erst medizinische Hilfe suchen, wenn es schon zu spät ist.
Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere
Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere haben in Deutschland kaum Zugang zur Krankenversicherung. Sie haben zwar theoretisch Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung, im gleichen Umfang wie Asylbewerber:innen. Jedoch stehen sie vor einem großen Hindernis: der Übermittlungspflicht nach §87 Aufenthaltsgesetz. Diese Pflicht besagt, dass Behörden, die mit der Behandlung dieser Personen befasst sind, deren Daten an die Ausländerbehörde weitergeben müssen. Dies führt dazu, dass viele aus Angst vor Abschiebung keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Auch wenn sie dringend medizinische Versorgung benötigen. Der Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung bleibt somit stark eingeschränkt.
Warum fallen diese Gruppen durch das Raster?
Es gibt verschiedene Ursachen, warum Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung leben. Die rechtliche Konstellation und auch Bürokratie spielen hierbei eine große Rolle, ebenso wie finanzielle Engpässe. Selbstständige, Studierende, Obdachlose und Haftentlassene stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Sie haben entweder nicht genug Geld, um die Beiträge zu zahlen, oder sind aufgrund ihrer prekären Lebenssituation schwer für Krankenkassen erreichbar.
Besonders dramatisch ist die Situation, wenn Krankheiten unbehandelt bleiben, die durch einfache medizinische Maßnahmen in den Griff zu bekommen wären. Dies betrifft nicht nur die Einzelnen, sondern belastet auch das Gesundheitssystem, da unversicherte Patienten oft erst dann Hilfe suchen, wenn teure Notfallbehandlungen nötig sind. Krankenhäuser bekommen die geleistete Hilfen in den meisten Fällen nicht zurückerstattet.
Ob durch finanzielle Probleme, bürokratische Hürden oder fehlende Unterstützung – viele Menschen fallen durch das Raster und bleiben unversichert. Es bedarf nicht nur individueller Lösungen, sondern die Nutzung rechtlicher Stellschrauben um den Zugang zur Krankenversicherung für alle zu ermöglichen.
Quellen und weiterführende Literatur
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